16. Juni 2017

Eine kleine Filmrezension für einen nicht hilfreichen Film

Die letzten Wochen rauschte es so ein kleines bischen im feuilletonistischen Blätterwald: Der Sender Arte weigerte sich eine bestellte Dokumentation über Antisemitismus in Europa mit dem Titel "Auserwählt und Ausgegrenzt. Der Hass auf Juden in Europa" zu senden. Begründet wurde dieser Schritt von Seiten Arte damit, dass die Autoren "das Thema verfehlt" hätten und am Ende eine ganz andere Reportage gemacht hätten, als man bestellt habe.
Da so etwas in Deutschland aus naheliegenden Gründen immer ein Politikum darstellt, lies es sich der Zentralrat der Juden in Deutschland nicht nehmen, den Sender nachdrücklich aufzufordern die Reportage doch bitte zu senden und nicht in der Schublade verschwinden zu lassen. Die Bild Zeitung, in ihren sinkenden Auflagen durchaus an etwas Aufmerksamkeit stark interessiert, heizte die Diskussion in den vergangenen Tagen dann weiter an, pfiff auf das Urheberrecht und setzte den Film in einer eher etwas ungewöhnlichen Aktion für 24 Stunden ins Netz.


An dieser Stelle muss dieser Autor sich dann ausnahmsweise mal bei der Zeitung mit den vier Buchstaben bedanken, denn dadurch hatte er die Gelegenheit wenigstens mal den Zankapfel zu sehen, um den es geht.

Um es gleich zu sagen: Arte hat mit einem Punkt recht: Das Thema wurde verfehlt. Jedenfalls wenn man den Blickpunkt zentral auf Antisemitismus in Europa legen möchte. Denn der Film handelt im Wesentlichen vom Nahostkonflikt und den diversen Verbindungen zwischen dem Konglomerat Palästina (mit allen möglichen Untergruppen und Personen) und Europa. Er legt somit zumindest den Schluss nahe, dass große Teile des in Europa zunehmend wiedererstarkenden Antisemitismus auf den Israel/Palästina Konflikt zurückgeht. Das war sicher nicht das was Arte bestellt hat, das klingt durchaus glaubwürdig.

Des Weiteren ist der Film nicht unbedingt so gut, wie ihn beispielsweise der Historiker Michael Wolffsohn im Abspann bei der BILD Version, bewertet. Denn er ist vergleichsweise unstrukturiert. Vieles wirkt ein wenig durcheinander, ein Faden ist nur schwer zu erkennen. Auch kommt Palästina vergleichsweise gut bei dem Bericht weg, die vielleicht dann etwas deutlicheren Szenen von Memri-TV sind nicht übersetzt worden, ob das ein handwerklicher Fehler war, oder man das dem Zuschauer nicht zumuten wollte, ist schwer zu sagen. Insgesamt hat man den Eindruck, dass die Autoren versucht haben ein extrem komplexes Problem in anderthalb Stunden zu zwingen, was ihnen am Ende (natürlich) nicht gelungen ist. Und einige Bewertungen sind durchaus angreifbar und tatsächlich etwas einseitig. Was überhaupt nicht schlimm ist, so lange man einen Film als Diskussionsansatz begreift. Aber wie gesagt, etwas verkürzt.

Was der Film aber dennoch auf jeden Fall ist, ist eins: Sehenswert. Es sind viele Fakten enthalten, die vielen deutschen (oder europäischen) Fernsehzuschauern so erstmal nicht bekannt sein dürften. Das allgemein in deutschen Intellektuellen-Kreisen gepflegte Bild vom Opferstatus Palästina bekommt hier zumindest ein paar deutliche Dellen verpasst. Auch die progromähnlichen Vorfälle in Frankreich 2014 waren zumindest diesem Autor nicht bekannt. Dass man selbst in Hamastan Leute gefunden hat, die vor der Kamera einen eher friedlichen Eindruck machten und sich durchaus eine friedliche Lösung mit "den Juden" vorstellen können, überrascht ebenso positiv. Die größte Leistung des Films liegt aber in der Vorführung der vielen NGOs (und hier auch gerade wieder der evangelischen Kirche, respektive ihrer Unterorganisationen) und wie einseitig und verheerend sie sich in den Konflikt einmischen. Der Geifer, der manchem europäischen Aktivisten ins Gesicht geschrieben ist, zeigt zumindest sehr deutlich eine Form von Antisemitismus, die nichts mit dem zu tun hat, was das deutsche Feuilleton sonst gerne damit assoziiert. Eine sehr eindrucksvolle Szene besteht nur aus einem einzelnen Gesichtsausdruck, als eine "Aktivistin" bei einer BDS Kampagne nachfragt, ob jemand wirklich gerade gesagt habe, die Palästinenser verletzten Menschenrechte. Wie gesagt: Sehr sehenswert.

Der ganze Vorgang sagt allerdings auch etwas über Antisemitismus aus, und das ohne jeden Beitrag der eigentlichen Filmautoren. Arte hat sich wohl eine Dokumentation gewünscht, in der die Autoren einzelne europäische Länder abgeklappert hätten und jeweils ein paar Vertreter von lokalen "rechten" Gruppierungen vorgeführt hätten und gezeigt hätten wie antisemitisch diese sind. In Deutschland wäre das dann wohl bei Pegida und Konsorten passiert. Und das hätte wohl auch funktioniert. Spinner gibts genug und jede rechte (oder gar "neurechte") Bewegung hat genug davon. Mehr als genug. Rechter, oder besser brauner, Antisemitismus ist ja nichts so seltenes. Das wäre dann der Antisemitismus gewesen, den Arte bestellt hat. Dummerweise geht es in diesem Film aber praktisch gar nicht darum. Was gezeigt wird ist ein linker Antisemitismus, der sich als Antizionismus tarnt, der "klammheimliche Freude" empfindet, wenn in Israel mal wieder eine Rakete durch den eisernen Dom dringt, der seine moderne Version von "Kauft nicht bei Juden" gerne als kosmopolitisch und friedensbewegt verkauft. Aber dieser Antisemitismus ist sowas wie das schwarze Schaf der Familie, über das man nicht spricht. Und den möchte man auch nicht zeigen. Linker Antisemitismus ist ein ganz giftiges Thema, und das berühmte Zitat von Wilfried Böse ("Ich bin kein Nazi, ich bin Idealist.") gilt in vielen Kreisen immer noch als totaler Killer in Diskussionen zum Antisemitismus. Das Arte diesen Antisemitismus nicht diskutieren möchte, ist ein ziemlich klares Indiz zum Zeitgeist. Und wenn der Film darauf hinweist, dass Antisemitismus in Europa wieder zunimmt, weil man die Augen davor verschließen will, ihn nicht wahrhaben will, dann hat Arte auf eindrucksvolle Art genau diesen Mechansimus belegt. Unsere Frau Bundeskanzler hätte den Film vermutlich als "nicht hilfreich" bezeichnet. Bei Arte ist er dann halt "nicht sendewert".
Llarian

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