11. November 2017

Von der dritten und der vierten Phase in der Geschichte der Bundesrepublik

Bei Stammlesern dieses Blogs wird der Titel des vorliegenden Beitrags Erinnerungen wecken: Vor gut sieben Jahren publizierte Zettel in diesem virtuellen Logbuch einen Essay unter der Überschrift "Die dritte Phase in der Geschichte der Bundesrepublik geht in diesen Tagen zu Ende. Eine These" (ZR vom 14.09.2010). Darin periodisierte Zettel die Geschichte seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes in drei Abschnitte von jeweils circa zwanzig Jahren, und zwar in die durch die Kanzlerschaft Konrad Adenauers geprägte Zeit von der Schaffung der Bundesrepublik (beziehungsweise der bereits zuvor vollzogenen Währungsreform) bis zu den späten sechziger Jahren, daran anschließend rund zwei Dezennien des gesellschaftlichen Umbruchs, repräsentiert durch die sozialdemokratisch-liberalen Koalitionen unter Brandt und Schmidt, und schließlich das Intervall zwischen der Wiedervereinigung und der durch Thilo Sarrazins Sachbuchbestseller "Deutschland schafft sich ab" ausgelösten Debatte, die Zettel gleichsam als Anfang vom Ende der dritten Phase in der Geschichte der Bundesrepublik betrachtete.
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Wenn man sich im Rückblick fragt, welcher Politiker oder welches politische Lager zum Symbol für die dritte Phase in der Geschichte der Bundesrepublik geworden ist, so mag man, wie das auch bei Zettel anklingt, die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder benennen. Dem Verfasser dieser Zeilen erscheint allerdings Angela Merkel in dieser Hinsicht als die bessere Wahl. Nicht nur, weil die CDU-Überfrau in der DDR sozialisiert wurde und sohin in einem ganz buchstäblichen Sinn von der "Verostung" (Zettel, loc. cit.) unseres Gemeinwesens gesprochen werden kann, sondern auch weil sich - in vollem Ausmaß in der Legislaturperiode 2013 bis 2017 - unter Kohls einstiger Ziehtochter und späterer Antagonistin Verhältnisse einstellten, die in einem freiheitlich-demokratischen Staat durchaus bedenklich anmuten.

Da wäre zum einen Merkels Hang zu autokratischen Entscheidungen auf fragwürdiger Rechtsgrundlage, wie er in unverhüllter Deutlichkeit in der Grenzöffnung im September 2015 zum Vorschein kam. Zum anderen wäre der fraktionsübergreifende Konsens des 18. Deutschen Bundestages zu erwähnen, in dem sich bis auf gelegentliches Ausscheren der SED und der CSU alle Parteien über die einzuschlagende Richtung einig waren und sich der Dissens weitgehend auf die Intensität der zu ergreifenden Maßnahmen beschränkte. Schließlich müsste man noch über Minister wie Maas und Schwesig reden, welche die Durchsetzung ihrer radikalen Ideologie in einer an Dreistigkeit kaum zu überbietenden Weise über die von einem rechtsstaatlichen Amtsverständnis auferlegte Zurückhaltung stellten.

Der kritische Leser wird sich vielleicht fragen: Wenn die dritte Phase in der Geschichte der Bundesrepublik im Zeitraum von 2013 bis 2017 ihre Hochzeit feierte, wie kann sie dann bereits anno 2010 begonnen haben zu enden? Nun, Periodenumbrüche kommen sehr selten ex nihilo daher, sondern werden durch bestimmte Ereignisse vorbereitet. So wie die Urgründe der zweiten Phase der Bundesrepublik gemäß Zettels zutreffenden Ausführungen zumindest bis ins Jahr 1962, nämlich zu den Schwabinger Krawallen und der SPIEGEL-Affäre, zurückverfolgt werden können, begann das Abendrot der dritten Phase der Bundesrepublik wenn auch zaghaft bereits in der ersten Hälfte des ersten Jahrzehnts des neuen Millenniums aufzuleuchten: Man denke insbesondere an das Entstehen einer Gegenöffentlichkeit im Internet, wie sie zum Beispiel durch die anno 2004 aus der Taufe gehobene Achse des Guten verkörpert wird.

Der quälend lange Abschied von der dritten Phase in der Geschichte der Bundesrepublik lässt sich zwanglos damit erklären, dass es seit 1949 noch nie eine derart lückenlose Übereinstimmung zwischen dem politischen Mainstream und der Mehrheit der über Sendezeit, Zeitungsspalten und Webspace verfügenden Multiplikatoren gab wie in der Ära Merkel. Dieses größtmögliche Bündnis der Meinungsbildner verteidigt seine Diskurshoheit verständlicherweise mit Klauen und Zähnen.

Eigentlich hätte die politische Zäsur bereits 2009 erfolgen können und müssen, als der Protestwähler der FDP beim Votum über die Besetzung des Deutschen Bundestages ein Traumergebnis bescherte. Merkel hatte damals in einem - man muss es so sagen - Akt der Täuschung der Stimmberechtigten angegeben, ihre linke Politik in der Großen Koalition sei ausschließlich Zugeständnissen an den sozialdemokratischen Partner geschuldet, und Westerwelles geradlinige Kampagne wirkte dem alten Stigma als Umfallerpartei erfolgreich entgegen. Der Rest der Entwicklung ist nur allzu gut bekannt: Merkel setzte ihren Kurs hart backbord unter beifälliger Kenntnisnahme der medialen Eliten unbeirrt fort und erfuhr von einer mutlosen freidemokratischen Ministerriege dafür keinerlei Gegenwind.

Mit anderen Worten: Die konservativ-liberale Konterrevolution wurde noch einmal verschoben. Dadurch stieg aber freilich der Druck dafür, dass das Pendel in diese Richtung ausschlug. Nach der vom Diskurs-Establishment einhellig geförderten Willkommenseuphorie im Herbst 2015, die mit der Kölner Silvesternacht krachend auf dem harten Boden der Tatsachen zerborsten ist, trägt das Meinungsmachermilieu zwar noch Rückzugsgefechte aus und erntet dabei den einen oder andern Pyrrhussieg. Doch seit knapp zwei Jahren macht dieses Land große Schritte in Richtung der Überwindung der dritten und des Volleintrittes in die vierte Phase seiner Nachkriegsgeschichte.

Die von den publizierenden Kreisen vehement geforderte und als Vehikel für eine Fortsetzung des Merkel'schen Grün-Kurses erhoffte Schwampel-Koalition ist ein beredter Ausdruck der historischen Patt- beziehungsweise Übergangssituation, in der wir uns befinden. Die nächste Bundestagswahl wird aller Voraussicht nach nicht erst in vier Jahren abgehalten, aber dafür ein Ergebnis bringen, das dem System Merkel ein jähes Ende bereitet.

Noricus

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