2. Januar 2018

Das verlorene Fest

Als ich Theologie studierte, sagte mein Professor für Neues Testament in der Vorlesung: „An den heiligen drei Königen stimmen nur drei Dinge nicht: dass es Könige waren, dass sie heilig waren und dass es drei waren.“ Natürlich hatte er die Lacher auf seiner Seite. Damit war diese Legende gestorben.

Heute sind wir weiter. Wirklich? Ist im Heische-Brauch, wenn kostümierte Kinder vor den Türen singen und für die Dritte Welt betteln, der Sinn des ältesten Weihnachtsfestes am 6. Januar noch sichtbar? Das Epiphaniefest gibt es schon im 2. Jh., das Fest am 24.Dezember erst seit den christlichen Kaisern in Rom als Ablösung vom Sonnengott-Fest. ­

Die Legende vom Zug der Sterndeuter aus dem Osten erzählt nur das Matthäusevangelium. Die Weisen kommen natürlich nach Jerusalem, in die Hauptstadt und zum König. Die Theologen wissen, dass man das Messiaskind in Bethlehem suchen muss und schicken sie dorthin, sie selber gehen nicht hin. Das Übliche, sie wissen, aber glauben und tun es nicht. Die Sterndeuter bringen dem neugeborenen König als Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe. Sie ziehen auf einem heimlichen Weg wieder ab, weil sie gespürt haben, dass Herodes den messianischen Rivalen nicht schätzt. Kritik des Matthäus also an den Theologen und an dem politischen Führer, und Lob für die Fremden, die Heiden, die wissen, was die Welt an den Juden hat.

Als das Abendland Vorbilder für die christlichen Könige und Kaiser suchte, wurden die Weisen zu Königen (darunter ein Schwarzer). So waren die Ritter als die Laien ebenbürtig mit dem Klerus, vor dem Christkind zumindest. Der vielgesungene Psalm 72 über den Idealkönig rechtfertigte die Verwandlung in Könige. Dort heißt es: „Die Gerechtigkeit blühe auf in seinen Tagen und großer Friede. Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, die Könige von Saba und Seba kommen mit Gaben.“ Der Sinn ist also: Heiden kommen nach Israel, weil es dort das Neue und Höchste gibt, die Lösung, den Erlöser.

Heute ist der Sternsingerbrauch eine Kindersache. Schon Heinrich Heine, der die Shoah prophezeite, zeigte in seiner deutschen Gegenwart, dass der Stern nichts Besonderes mehr bedeutet außer Rhetorik und Lärm:

Der Stern blieb stehn über Josephs Haus.
Da sind sie hineingegangen;
Das Öchslein brüllte, das Kindlein schrie,
Die heil’gen drei Könige sangen.

Der in Franken geborene und buddhistisch angehauchte Friedrich Rückert wandelte den Inhalt um in ein pantheistisches Lob alles Königlichen und beschrieb „Zum heiligen Dreikönigstage“ lyrisch den Schöpfergott, die Könige der Tierwelt Löwe und Adler, die Könige der Wissenschaft und die der Kunst. Auf die Frage, ob und wo „allhier der König geboren“ sei, sollten wir so antworten:

Gebt ihnen in Wahrheit den Bericht:
Geboren ist hier der König Licht,
Oder geboren wird er eben,
Der selbst sich gebärende König soll leben,
Und die ihn gebiert in unserm Sinn,
Liebe, die Himmelskönigin.

Rainer Maria Rilke bürstete schließlich die biblische Legende gegen den Strich und veränderte sie zu einer Misserfolgs-Geschichte. Den virtuosen Zeilen „Drei Könige von Unterwegs / und der Stern überall,/ die zogen alle (überleg’s!)/ so rechts ein Rex und links ein Rex / zu einem stillen Stall“ folgt die Beschreibung der Pleite:

Sie haben alle drei zuhaus
zwölf Töchter, keinen Sohn,
so bitten sie sich deinen aus
als Sonne ihres Himmelsbaus
und Trost für ihren Thron.

Ihr doppeltes Pech ist, dass sie nicht nur in Jesus keinen Heiratsprinzen finden, sondern dass das Risiko zu groß war: „inzwischen fällt ihr reifes Reich / weiß Gott wem in den Schooß (…) sind sie vielleicht schon alle arm.“ Diese Spielerei soll uns offenbar aufdecken, dass die übliche religiöse Emotion nur verbrämten menschlichen Wünschen dient und dass man am Ende sogar das noch verliert, was man zuhaus schon besessen hatte: „Smaragde und Rubinien / und die Tale von Türkis.“

Was dann in zwei Weltkriegen folgte, war bei Hoffmann von Fallersleben schon 1835 vorweg besungen im Kinderwunsch:

Morgen kommt der Weihnachtsmann,
kommt mit seinen Gaben:
Trommel, Pfeifen und Gewehr,
Fahn‘ und Säbel und noch mehr,
ja ein ganzes Kriegesheer
möchte ich gerne haben!

Das Fazit las die letzte Generation dann bei Bertolt Brecht:

Und es fehlte schon fast gar nichts mehr
da kamen auch noch die Dreikönig daher!
Maria und Joseph waren zufrieden sehr.
Sie legten sich sehr zufrieden zum Ruhn
mehr konnte die Welt für den Christ nicht tun.

Die Jüngeren lasen dann in der Schule vielleicht noch seinen Vers: „Außer diesem Stern, dachte ich, ist nichts und er / Ist so verwüstet./ Er allein ist unsere Zuflucht und die/ Sieht so aus.

Das frühkirchliche Fest galt nicht dem Geburtstag – der natürlich insofern interessant ist, als er sagt: Es gab in der Menschheitsgeschichte diese Person, die so weltbewegend wurde - , sondern seiner „Erscheinung“ (Epiphanie) als Erwachsener und Retter. Der Messias überbietet alle Bußprediger, indem er die Lösung und damit die Fülle bringt. Deshalb bekam dieses Fest am 6. Januar drei Zeichen, Geschichten und Gedanken: 1) Anfang der Wallfahrt von Heiden nach Jerusalem; 2) das bei der Taufe Jesu sichtbare Kommen des Gottesgeistes; und 3) sein Wunder in Kana, die Verwandlung von 600 Litern Wasser in Wein als Zeichen der Fülle im angekommenen Reich Gottes. Das Datum wurde in Alexandria damals gewählt als Gegenstück zu zwei heidnischen Festen an diesem Tag: zum Fest des Weingottes Dionysos und dem der Geburt des „Neuen Äons“ aus einer Jungfrau.

Die heute gültige katholische Liturgie zerteilte die kompliziert erscheinende Fülle der drei Zeichen des gekommenen Messias und feiert an Epiphanie bloß das Kommen der heidnischen Weisen als „Dreikönig“. Dafür ist aber in jüngerer Zeit etwas geschehen, das für die Christenheit erstaunlich und ein Novum ist, das sich sehr positiv auswirken könnte – wenn es denn künftig von vielen Gläubigen aufgenommen würde.

Bei der Erstellung des neuen Katholischen Katechismus für die ganze Weltkirche kam 1992 eine Nummer (528) hinein, die eine Revolution bedeutet. Man weiß, dass u.a. Ratzinger sie gegen Widerstände durchgesetzt hat. Darin heißt es:

Die Epiphanie ist die Offenbarung Jesu als Messias Israels, als Sohn Gottes und Erlöser der Welt bei seiner Taufe im Jordan, bei der Hochzeit von Kana und bei der Anbetung Jesu durch die ‚Sterndeuter aus dem Osten‘ (Mt 2,1). In diesen ‚Weisen‘, den Vertretern der heidnischen Religionen der Umwelt, sieht das Evangelium die Erstlinge der Nationen, welche die frohe Botschaft empfangen… Dass die Weisen nach Jerusalem kommen, zeigt, dass sie im messianischen Licht des Davidsterns in Israel nach dem suchen, der König der Völker sein wird. Ihr Kommen bedeutet, dass die Heiden nur dann Jesus entdecken und ihn als Sohn Gottes und Heiland der Welt anbeten können, wenn sie sich an die Juden wenden (vgl. Joh 4,22) und von ihnen die messianische Verheißung empfangen, wie sie im Alten Testament enthalten ist. Die Epiphanie bekundet, dass alle Heiden … die Würde Israels erhalten sollen (Osternachtgebet).

Das ist die neue Israel-Theologie der katholischen Kirche seit dem II. Vaticanum, die Wende vom Antisemitismus zum paulinischen Bild des einen Ölbaums aus Juden und Heidenchristen. Diese Wiederentdeckung verlangt auch die Einsicht: Unser Jesus war Jude und blieb Jude. In den barocken Krippen findet man neben den Hirten den weisen König Salomo und die heidnische Königin von Saba an der Krippe, weil hier die fleischgewordene Weisheit liegt. Bei italienischen alten Krippen findet man auch eine antike Säule im Stall, die Erinnerung daran, dass hier die rettende Form gerettet ist, auch wenn Reiche und Tempel Ruinen werden.

Und in der zitierten neuen Katechismus-Nummer? Da fand die Christenheit zurück zu ihrer Wurzel, und das ist mehr als eine Reformation. Wenn es nicht bei der Theorie bleibt, wäre jetzt z.B. nicht ein Neues Jahr „nach Chr.“ angebrochen, sondern ein neues Zeitalter.

Ludwig Weimer

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